Kess erziehen

Mutter hebt Kind hoch
Bild: unsplash.com, Shelby Courtney

Trödeln am Morgen, Streit ums Aufräumen, um Hausaufgaben oder das Sozialverhalten: Erziehung ist schwieriger geworden. Viele Eltern suchen heute nach Wegen, einerseits mit den Kindern partnerschaftlich umzugehen, andererseits aber notwendige Grenzen zu setzen – ein Balanceakt.
Oft wollen Erwachsene störendes Verhalten bei Kindern bekämpfen und geraten dabei in einen Kreislauf gegenseitiger Entmutigung. Um aus diesem Kreislauf auszubrechen und um dafür zu sorgen, dass es gar nicht (mehr) so weit kommt, braucht es bestimmte Erziehungskompetenzen. Damit Eltern diese erwerben können, unterstützt das Bistum Osnabrück das Konzept „Kess erziehen“.

Die Abkürzung „Kess“ steht für: Kooperativ – Ermutigend – Sozial – Situationsorientiert. Dieses Label beschreibt Erziehungskurse, die bei konkreten Erziehungssituationen im Alltag ansetzen, zum Beispiel mit Rollenspielen oder Impulsvorträgen. Es geht nicht um Patentrezepte, die immer und überall gültig sind, sondern um eine respektvolle Haltung und einen konsequenten Umgang miteinander. Die Eltern lernen zum Beispiel, weshalb Kinder bestimmte Verhaltensweisen zeigen und wie sie darauf reagieren können. Der Kurs geht dabei von positiven Ansätzen aus und will den Blick auf die Stärken der Eltern und Kinder lenken. Wie man mit diesem Erziehungskonzept so den Familienalltag entspannen kann, erklärt Christof Horst, Projektleiter des bundesweiten Angebots, im Interview:

Herr Horst, kann man richtig erziehen lernen?

Logo kess erziehen

Nicht wie das Rechnen. Was ich aber lernen kann, ist, mehr Rückhalt zu bekommen, dadurch dass ich besser informiert bin, mich mit Gleichgesinnten zusammentue und meine pädagogischen Stärken ausbaue. Wenn ich zum Beispiel sage: „Ich habe ständig Streit mit dem Kind. Es ist Wahnsinn!“ Dann geben wir in dem Kurs den Impuls: „Schauen Sie mal, wann sie einen guten Moment im Miteinander spüren. Notieren Sie sich diesen.“ Dann kommen die Eltern beim nächsten Mal wieder und staunen: „Es gibt viel mehr Positives, als ich dachte.“ Sie lernen, solche Momente bewusst im Alltag herbeizuführen. Das Familienklima wird entspannter und angenehmer.

Welches Konzept steckt hinter „Kess erziehen“?

Das „K“ in „Kess“ steht für kooperativ. Es gilt, von Anfang an das Kind einzubinden und zu beteiligen. Das „E“ für Ermutigung. Dahinter steckt die Haltung, statt nach Fehlern zu suchen auf die Stärken zu schauen – beim Kind wie bei den Eltern. Das erste „S“ steht für sozial und das Beachten der sozialen Grundbedürfnisse. Das letzte „S“ meint situationsorientiert. Es gibt kein Patentrezept für bestimmte Situationen. Während vielfach Ratschläge erschlagen, sollen Eltern in unseren Kursen spüren: Mir wird Kompetenz zugesprochen, ich habe Handlungsfreiheit.

Kind sitzt im Wald
Kinder sehen die Welt oft aus einer ganz eigenen Perspektive

Woran fehlt es Eltern am meisten?

An Ermutigung. Es gibt eine elterliche Intuition, aus der heraus sie handeln. Diese ist aber oft verschüttet aufgrund von Kritik und Meinungen, mit denen sie konfrontiert sind. Das führt zur Verunsicherung, was richtig oder falsch ist.

Was ist denn richtig?

Zuallererst: in Beziehung mit den Kindern zu gehen. Wir spüren, was Eltern mitbringen in den ersten Lebensmonaten eines Kindes. Was da an Zuwendung, Zärtlichkeit und Zeit gegeben wird – das ist die Stärke der Eltern. Diese Haltung wollen wir fördern, obwohl das Kind mehr und mehr seinen eigenen Willen entwickelt und der Alltag schwieriger wird. Eine gute Erziehung setzt auf Gleichwertigkeit, auf respektvollen Umgang miteinander. Dazu gehört, dass ich verlange, dass es meine Grenzen akzeptiert so wie ich seine akzeptiere.

Welche Grenze könnte ein Kind setzen?

Es geht um die Grenzen der Kinder und der Eltern. Im Idealfall lassen wir das Kind altersgemäß selbstständig entscheiden und achten zugleich auf unsere Wünsche. Das fängt schon bei den Jüngsten an: Was möchten sie anziehen? Wie möchten sie das Zubettgehen gestalten? Ein Kind braucht die Erfahrung, dass seine Meinung gehört wird und es auch die Grenzen der Eltern erfährt – etwa dass auch sie sich einen ruhigen Abend wünschen.

Wie können Eltern die positive anfängliche Beziehung beibehalten?

Indem sie die Sprache des Kindes lernen. Es signalisiert, was es braucht. Gerade durch störende Verhaltensweisen. Kinder buhlen um Aufmerksamkeit, gehen in Machtkämpfe hinein oder ziehen sich resigniert zurück. Der entmutigende Kreislauf für alle beginnt, wenn Eltern dieses Verhalten bekämpfen. Kinder stellen viel infrage, auch mich als Erziehenden. Das dürfen Eltern nicht persönlich nehmen. Wenn ich die Sprache des Kindes als Signal erkenne und übersetze, kann wieder ein Miteinander entstehen. Auch in schwierigen Phasen wie der Pubertät. Es gibt kein Kind, das bösartig ist und uns eins auswischen will. Fühlt es sich bestärkt und akzeptiert, wird es auf Dauer kooperieren.

Was ist das christliche Moment in den Kess-Kursen?

Der Fokus auf die sozialen Grundbedürfnisse der Kinder. Diese sind: Ich möchte dazugehören, ich möchte wichtig sein, etwas mitgestalten und mich geborgen fühlen. Auf dieser Basis kann reife Religiosität wachsen. Ich kann an einen Gott glauben, der mich sieht, der an mich glaubt und mir Halt gibt. An einen Gott, der für mich Heimat und Zufluchtstätte werden kann.

Was unterscheidet Kess-Kurse von anderen Elternkursen?

Kontakt

Bärbel Grote
Kindertagesstättenpastoral
Gerhard-Kues-Straße 16
49808 Lingen
0591/6102-250 (vormittags)
E-Mail-Kontakt

Es geht bei uns nicht wie bei anderen Angeboten vorrangig um einen Austausch über konkrete Alltagssituationen. Unsere Teilnehmer erhalten durch Übungen und Beispiele Impulse zu allgemeinen Erziehungsthemen und ein grundsätzliches Rüstzeug: Was heißt Machtkampf? Wie können wir auf störende Verhaltensweisen reagieren? Wie können wir das Miteinander besser gestalten? Wie gehe ich mit Konflikten um? Wie komme ich mit meinem Kind gut ins Gespräch? Die Kurse ziehen sich durch alle Phasen der Kindheit, vom Babyalter bis zur Pubertät, und wenden sich an Eltern, aber auch Großeltern, Erzieher und Lehrer.