Die Silvesterpredigt 2013

Der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode sieht in den Worten und Taten von Papst Franziskus einen Aufbruch für die katholische Kirche. „Was Franziskus sagt und tut, ermutigt uns und richtet uns auf in den vielen Auseinandersetzungen und Krisen der Kirche in unseren Breiten“, sagte Bode in seiner Silvesterpredigt im Osnabrücker Dom am 31. Dezember.
Es imponiere ihm, wie klar der Papst die Zeichen der Zeit erkenne und benenne, betonte Bode mit Bezug auf das jüngst veröffentlichte Apostolische Schreiben „Evangelii gaudium“. Das Bekenntnis zu Gott und den Menschen als seinem Ebenbild bedeute zugleich ein „klares Nein“ zur Vergötzung des Geldes, zu sozialer Ungerechtigkeit, zur Gleichgültigkeit und zu Fundamentalismen. „Initiative ergreifen, sich einbringen, Frucht bringen und feiern“ seien laut Papst Franziskus die wesentlichen Schritte einer Kirche, die immer wieder zum Aufbruch bereit sei, erklärte Bode. Es gehe darum, Erstarrungen aufzubrechen, sich nicht um sich selbst zu drehen, sondern aus sich herauszugehen. „Lassen wir uns den Glauben an das Revolutionäre der Zärtlichkeit und der Liebe nicht entreißen! Lassen wir ihn uns von Papst Franziskus neu wecken“, unterstrich Bode.

Die komplette Predigt im Wortlaut können Sie hier nachlesen:

Bischof Franz-Josef Bode, Bild: Bistum Osnabrück
Bischof Franz-Josef Bode (Bild: Bistum Osnabrück)

Ein Feuerwerk an aufrüttelnden Worten und Gesten, liebe Schwestern und Brüder, hat uns unser neuer Papst schon geschenkt. Worte und Gesten, die weit über die Kirche hinaus in aller Welt hohe Beachtung gefunden haben. Das berühmte „Time Magazine“ hat den Papst zur „Person des Jahres 2013“ erklärt. Was Franziskus sagt und tut, ermutigt uns und richtet uns auf in den vielen Auseinandersetzungen und Krisen der Kirche in unseren Breiten. Seine Stimme vom „anderen Ende der Welt“ beschreibt die heutige Realität auch ganz anders, als wir es gewohnt sind. Sie ist zugleich die Bestätigung einer pastoralen Linie, die wir gemeinsam auch in unserem Bistum seit dem Konzil verfolgen und verstärken. Auf diese Stimme, wie sie uns im ersten großen Apostolischen Schreiben „Evangelii gaudium“ unseres Papstes begegnet, wollen wir hören. Sie ist das Thema dieser Silvesterpredigt.
„Mir geht es um einen bestimmten Stil der Evangelisierung, und ich lade ein, diesen im allem, was getan wird, zu übernehmen“ (EG 18), schreibt der Papst. „Ich betone, dass das, was ich hier zu sagen beabsichtige, eine programmatische Bedeutung hat und wichtige Konsequenzen beinhaltet“ (EG 25). „Ich rufe alle auf, großherzig und mutig die Anregungen dieses Dokuments aufzugreifen, ohne Beschränkungen und Ängste2 (EG 33), damit wir 2von einer rein bewahrenden Pastoral zu einer missionarischen Pastoral übergehen“ (EG 15), deren Hirten und Evangelisierende „den Geruch der Schafe“ haben (EG 24).
Mit solch einladenden, aber auch sehr deutlichen, kräftigen und eindringlichen Worten ruft uns Papst Franziskus aus dem „Schlaf der Sicherheit“. Aber auch aus der um sich greifenden Traurigkeit über all das, was nicht mehr geht wie früher. Wir brauchen aus der Freude des Evangeliums heraus eine neue Freude am Evangelium, eine neue Freude an der Person Christi. Den Schlüssel dazu gibt uns das Zweite Vatikanische Konzil mit dem bis heute nicht ausgeschöpften Dokument „Gaudium et spes“, wo es gleich zu Anfang heißt: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände. Ist doch ihre eigene Gemeinschaft aus Menschen gebildet, die, in Christus geeint, vom Heiligen Geist auf ihrer Pilgerschaft zum Reich des Vaters geleitet werden und eine Heilsbotschaft empfangen haben, die allen auszurichten ist.“

Zum Aufbruch bereit

Initiative ergreifen, sich einbringen, begleiten, Frucht bringen und feiern, so schreibt Papst Franziskus in „Evagelii gaudium“ (24), sind die wesentlichen Schritte einer Kirche, die immer wieder zum Aufbruch bereit ist. Die bereit ist, ihre Erstarrungen aufzubrechen und voranzugehen, sich nicht um sich selbst zu drehen, sondern aus sich herauszugehen – bis an die Grenzen, an die Menschen geraten können. „Die evangelisierende Gemeinde nimmt sich des Weizens an und verliert aufgrund des Unkrauts nicht ihren Frieden. Wenn der Sämann inmitten des Weizens das Unkraut aufkeimen sieht, reagiert er nicht mit Gejammer und Panik. Er findet den Weg, um dafür zu sorgen, dass das Wort Gottes in einer konkreten Situation Gestalt annimmt und Früchte neuen Lebens trägt, auch wenn diese scheinbar unvollkommen und unvollendet sind“ (EG 24).
In diesem großartigen Satz ist die ganze Pastoral unseres Papstes verdichtet. Er sucht zuerst nach den Stärken der Menschen, nicht nach ihren Schwächen. Er entdeckt den Weizen und lässt sich von Unkraut und Begrenztheit nicht irre machen. Geduld und langer Atem sind wichtiger als treibende und beunruhigende Kurzatmigkeit.
Deshalb bleibt für ihn die Pfarrei – auch in unseren heutigen großen Zuschnitten – ein Ort der Weite und des Entgegenkommens allen Menschen gegenüber, die dazugehören, unabhängig von ihrer Nähe zur Kirche und ihrem Gottesdienst. Der Papst schreibt: „Die Pfarrei ist keine hinfällige Struktur; gerade weil sie eine große Formbarkeit besitzt, kann sie ganz verschiedene Formen annehmen, die die innere Beweglichkeit und die missionarische Kreativität des Pfarrers und der Gemeinde erfordern. Obwohl sie sicherlich nicht die einzige evangelisierende Einrichtung ist, wird sie, wenn sie fähig ist, sich ständig zu erneuern und anzupassen, weiterhin ‚die Kirche [sein], die inmitten der Häuser ihrer Söhne und Töchter lebt‘. Das setzt voraus, dass sie wirklich in Kontakt mit den Familien und dem Leben des Volkes steht und nicht eine weitschweifige, von den Leuten getrennte Struktur oder eine Gruppe von Auserwählten wird, die sich selbst betrachten. Die Pfarrei ist eine kirchliche Präsenz im Territorium, ein Bereich des Hörens des Wortes Gottes, des Wachstums des christlichen Lebens, des Dialogs, der Verkündigung, der großherzigen Nächstenliebe, der Anbetung und der liturgischen Feier. Durch all ihre Aktivitäten ermutigt und formt die Pfarrei ihre Mitglieder, damit sie aktiv Handelnde in der Evangelisierung sind. Sie ist eine Gemeinde der Gemeinschaft, ein Heiligtum, wo die Durstigen zum Trinken kommen, um ihren Weg fortzusetzen, und ein Zentrum ständiger missionarischer Aussendung. Wir müssen jedoch zugeben, dass der Aufruf zur Überprüfung und zur Erneuerung der Pfarreien noch nicht genügend gefruchtet hat, damit sie noch näher bei den Menschen sind, Bereiche lebendiger Gemeinschaft und Teilnahme bilden und sich völlig auf die Mission ausrichten“ (EG 28).

Die Kirche als offenes Haus des Vaters

Dabei verseht der Papst die Pfarrei als Gemeinschaft von Gemeinschaften, wie ein großes Netzwerk mit verschiedenen Knotenpunkten, so dass in der Weite der vergrößerten Territorien die Nähe zu den Menschen und die Tiefes des Glaubens, Hoffens und Liebens nicht verloren gehen. Sie muss in „beständigem Aufbruch zu den Peripherien des eigenen Territoriums oder zu den neuen soziokulturellen Umfeldern“ bleiben und sich dafür einsetzen „immer dort gegenwärtig zu sein, wo das Licht und das Leben des Auferstandenen am meisten fehlen“ (EG 30).
Deshalb ist die ganze Kirche ein großes Netzwerk von Knotenpunkten in den Diözesen und Bischofskonferenzen, die deutlich eigenständig und mit eigener Autorität handeln gegenüber einer übertriebenen Zentralisierung (von Rom), die „das Leben der Kirche und ihre missionarische Dynamik kompliziert, anstatt ihr zu helfen“, so der Papst (EG 32). Das unterstreicht er noch durch die geforderte Neubesinnung auf den Dienst des Papstes und seines Lehramtes.
Zur Weite und Dynamik des Evangeliums gehört es, dass „man, ohne den Wert des vom Evangelium vorgezeichneten Ideals zu mindern, die möglichen Wachstumsstufen der Menschen, die Tag für Tag aufgebaut werden, mit Barmherzigkeit und Geduld begleitet. […] Ein kleiner Schritt inmitten großer menschlicher Grenzen kann Gott wohlgefälliger sein als das äußerlich korrekte Leben dessen, der seine Tage verbringt, ohne auf nennenswerte Schwierigkeiten zu stoßen“ (EG 44).
Wie gehen uns, liebe Schwestern und Brüder, solche Worte zu Herzen, damit die Kirche „das offene Haus des Vaters“ ist (EG 47), das Haus voll Menschen mit einem missionarischen Herzen, das „nicht auf das mögliche Gute verzichtet, obwohl es Gefahr läuft, sich mit dem Schlamm de Straße zu beschmutzen“ (EG 45). So und ähnlich sagt es der Papst immer wieder. Und auch die Türen der Sakramente dürfen nicht aus irgendeinem beliebigen Grund geschlossen werden. „Die Eucharistie ist, obwohl sie die Fülle des sakramentalen Lebens darstellt, nicht eine Belohnung für die Vollkommenen, sondern ein großzügiges Heilmittel und eine Nahrung für die Schwachen“ (EG 47). Diese Überzeugungen sollen pastorale Konsequenzen haben, die wir „mit Besonnenheit und Wagemut“ in Betracht ziehen sollen, so der Papst. „Die Kirche ist keine Zollstation (mit Kontrolleuren), sie ist das Vaterhaus, wo Platz ist für jeden mit seinem mühevollen Leben“ (EG 47).

Hinausgehen auf die Straßen

Diese Überlegungen krönt der Papst mit Sätzen, die in der vergangenen Woche schon fast historisch geworden sind: „Brechen wir auf, gehen wir hinaus, um allen das Leben Jesu Christi anzubieten! Ich wiederhole hier für die ganze Kirche, was ich viele Male den Priestern und Laien von Buenos Aires gesagt habe: Mir ist eine ‚verbeulte‘ Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Straßen hinausgegangen ist, lieber, als eine Kirche, die aufgrund ihrer Verschlossenheit und ihrer Bequemlichkeit, sich an die eigenen Sicherheiten zu klammern, krank ist. Ich will keine Kirche, die darum besorgt ist, der Mittelpunkt zu sein, und schließlich in einer Anhäufung von fixen Ideen und Streitigkeiten verstrickt ist. Wenn uns etwas in heilige Sorge versetzen und unser Gewissen beunruhigen soll, dann ist es die Tatsache, dass so viele unserer Brüder und Schwestern ohne die Kraft, das Licht und den Trost der Freundschaft mit Jesus Christus leben, ohne eine Glaubensgemeinschaft, die sie aufnimmt, ohne einen Horizont von Sinn und Leben. Ich hoffe, dass mehr als die Furcht, einen Fehler zu machen, unser Beweggrund die Furcht sei, uns einzuschließen in die Strukturen, die uns einen falschen Schutz geben, in die Normen, die uns in unnachsichtige Richter verwandeln, in die Gewohnheiten, in denen wir uns ruhig fühlen, während draußen eine hungrige Menschenmenge wartet und Jesus uns pausenlos wiederholt: ‚Gebt ihr ihnen zu essen!‘ (Mk 6,37). (EG 49)
Liebe Schwestern und Brüder, niemand kann sich der Herzenswärme solcher Worte entziehen, zumal sie bei Papst Franziskus einem evangelisierenden Lebensstil entsprechen, der ihn echt und glaubwürdig macht. Mit ermöglicht ist dieser neue Stil durch die unvergleichlich demütige Tat seines Vorgängers, Benedikt XVI.: den Rücktritt vom Dienst des Papstes. So hat er eine Kirche und einen Petrusdienst befördert, die eher zurücktreten als nur aufzutreten – und gerade dadurch an spiritueller und moralischer Autorität gewinnen.

Ein Klares Ja zum Evangelium

Die Aussagen des Papstes in seinem ersten authentischen Apostolischen Schreiben sind von einer Fülle, die hier nicht annähernd darzustellen ist. Mir imponiert, wie klar der Papst die Zeichen der Zeit erkennt und benennt und wie deutlich er zur Unterscheidung der Geister herausfordert. Wo ein klares JA des Evangeliums zu Gott und seinem Ebenbild, den Menschen, gelebt wird, muss es auch ein klares NEIN geben etwa zu einer Wirtschaftsordnung der Ausschließung, die die Schere zwischen Armen und Reichen ständig vergrößert. NEIN zur Vergötzung des Geldes! NEIN zu Finanzmärkten, die regieren statt zu dienen. NEIN zu sozialer Ungerechtigkeit, die Gewalt hervorbringt. NEIN zu kulturellen Entwicklungen der Gleichgültigkeit oder der Flucht aus der Wirklichkeit, zu Fundamentalismen, der Herrschaft der Administration und einer wahllosen Informationsgesellschaft.
Die Kirche darf sich vor dieser Realität und solchen Entwicklungen nicht drücken und muss auch in diese Kulturen und Unkulturen das Evangelium einpflanzen. Dabei wird das Leben der Stadt zunehmend an Bedeutung gewinnen mit neuartigen Räumen der Begegnung mit Menschen. Und das Land wird beitragen müssen zu einer neuen Art an Volksfrömmigkeit, einer Frömmigkeit des Volkes Gottes, die das Gespür aller Gläubigen wirklich ernst nimmt, den sensus fidelium, den sensus der Menschen mit ihrer humanen und religiösen Lebenskompetenz.
Weiter sagt das Evangelium entschieden NEIN zu egoistischer Trägheit, zu einem alles durchdringenden Pessimismus und JA zu neuen persönlichen Beziehungen zu Christus selbst. „Es geht darum zu lernen, Jesus im Gesicht der anderen, in ihrer Stimme, in ihren Bitten zu erkennen. Und auch zu lernen, in einer Umarmung mit dem gekreuzigten Jesus zu leiden, wenn wir ungerechte Aggressionen oder Undankbarkeiten hinnehmen, ohne jemals müde zu werden, die Brüderlichkeit zu wählen“, so der Papst.

Das Volk Gottes

Scharf verurteilt der Papst eine egoistische und egozentrische Weltlichkeit, einen neuen Pharisäismus unter dem Deckmantel des Gutes und der Religion (vgl. EG 93 ff.). Er verurteilt mit dem Evangelium den „Krieg unter uns“, unter den Christen am Arbeitsplatz, in den Gemeinden, zwischen Pfarreien, Gemeinschaften und Konfessionen (EG 98 ff.). Und er tritt vehement ein für das Miteinander aller Dienste im Volk Gottes. Nur im Miteinader aller Getauften, Gefirmten, Beauftragten, Gesendeten und Geweihten gelingt Kirche der Zukunft und der Evangelisierung (EG 102 ff.). Dabei müssen die Frauen eine erheblich entscheidendere Rolle spielen, auch wenn sie nicht die Weihe empfangen. „Denn das ‚weibliche Talent ist unentbehrlich in allen Ausdrucksformen des Gesellschaftslebens; aus diesem Grund muss die Gegenwart der Frauen auch im Bereich der Arbeit garantiert werden‘ und an den verschiedenen Stellen, wo die wichtigen Entscheidungen getroffen werden, in der Kirche ebenso wie in den sozialen Strukturen.“ (EG 103)
In aller Breite nimmt der Papst – und das deckt sich mit meinen Erfahrungen in Lateinamerika – die Theologie des Volkes Gottes auf, die eine Grundlage der Konzilserneuerungen ist. „Kirche sein bedeutet Volk Gottes sein […] Ferment Gottes inmitten der Menschheit.“ – „Die Kirche muss der Ort der ungeschuldeten Barmherzigkeit sein, wo alle sich aufgenommen und geliebt fühlen können, wo sie Verzeihung erfahren und sich ermutigt fühlen können, gemäß dem guten Leben des Evangeliums zu leben.“ (EG 114)
Dieses Volk Gottes hat viele Gesichter. Die kulturelle Unterschiedlichkeit bedroht die Kirche nicht, wo in der rechten Weise das Zueinander von Einheit und Vielfalt gelebt wird nach dem Bild des dreifaltigen Gottes, der in sich nicht Einförmigkeit. sondern lebendige Gemeinschaft ist (EG 117). Und das gilt für jede Gemeinde mit ihren so zahlreichen Charismen und Talenten. Entschieden tritt der Papst dafür ein, dass wir alle missionarische Jünger und Jüngerinnen sind und nicht nur die „Berufschristen“.
Leider kann ich hier nicht die großartigen Ausführungen über den Dienst der Predigt ansprechen, in denen sich die ganze Seelsorgekompetenz des Papstes zeigt. Auch nicht die fundamentalen Aussagen über die Katechese als persönliche Begleitung von Wachstumsprozessen.
Einen weiteren großen Teil des Schreibens nehmen die soziale Dimension der Evangelisierung und der Erweis der bleibenden Aktualität der christlichen Soziallehre ein. Der Papst wird nicht müde zu mahnen, in der Kirche die Option für die Armen, ja die Option für die Letzten zu leben (EG 195). Wir sollen gemeinsam mit Gott den Schrei der Menschheit in aller Not und Ungerechtigkeit hören und dann auch handeln. Die Armen jeder Art müssen einen bevorzugten Platz im Volke Gottes haben. Das hat enorme Konsequenzen für unsere Gemeinden, die sich oft mehr um Strukturen, Gottesdienstzeiten und schöne Feste sorgen als um die Not der Menschen, nicht nur die materielle, sondern auch die psychische und die spirituelle Not. Dabei haben die Armen uns vieles zu lehren. Der Papst schreibt: „Sie [die Armen] haben nicht nur Teil am sensus fidei, sondern kennen außerdem dank ihrer eigenen Leiden den leidenden Christus. Es ist nötig, dass wir alle uns von ihnen evangelisieren lassen. Die neue Evangelisierung ist eine Einladung, die heilbringende Kraft ihrer Leben zu erkennen und sie in den Mittelpunkt des Weges der Kirche zu stellen. Wir sind aufgerufen, Christus in ihnen zu entdecken, uns zu Wortführern ihrer Interessen zu machen, aber auch ihre Freunde zu sein, sie anzuhören, sie zu verstehen und die geheimnisvolle Weisheit anzunehmen, die Gott uns durch sie mitteilen will“ (EG 198).

Ein umfassender sozialer Dialog im Kontext religiöser Freiheit

Dieser große Teil des Schreibens sollte uns ein konkreter Gewissenspiegel sein. Wir müssen ihn an anderer Stelle noch gründlicher reflektieren. Besonders inspirierend sind die Grundprinzipien, die der Papst dafür benennt:
– Zeit ist mehr wert als Raum (das heißt langatmig, geduldig und mit dem Geschenk der Zeit zu arbeiten);
– Einheit wiegt mehr als der Konflikt (das heißt neue Friedensstrategien zu entwickeln);
– die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee (was ein ganz tiefer Zug der Hirtensorge des Papstes ist: „Die Wirklichkeit steht über der Idee. Das schließt ein, verschiedene Formen der Verschleierung der Wirklichkeit zu vermeiden: die engelhaften Purismen, die Totalitarismen des Relativen, die in Erklärungen ausgedrückten Nominalismen, die mehr formalen als realen Projekte, die geschichtswidrigen Fundamentalismen, die Ethizismen ohne Güte, die Intellektualismen ohne Weisheit“ (EG 231));
– das Ganze ist dem Teil übergeordnet (das Ganze ist mehr als die Summe der Teile; doch Lokales und Globales gehören zusammen: „Es ist nicht die globale Sphäre, die vernichtet, noch die isolierte Besonderheit, die unfruchtbar macht“ (EG 235)).
Der Papst will einen umfassenden Dialog eröffnen, einen sozialen Dialog zwischen Glaube, Vernunft und den Wissenschaften, zwischen den christlichen Konfessionen und in einer weltweiten und nahen Ökumene, in der besonderen Beziehung zum Judentum und im interreligiösen Austausch. Er will einen sozialen Dialog eröffnen im Kontext religiöser Freiheit. Er will also mit allen Menschen darüber ins Gespräch kommen, welche Auswirkung Religion auf die Öffentlichkeit, auf die Menschheit überhaupt hat.

Jesus als Vorbild

Sie spüren, liebe Schwestern und Brüder, den Reichtum der Gedanken unseres Papstes, für den wir nur dankbar sein können in unseren verrückten Zeiten. Eine Verdichtung davon finden wir in Abschnitt 269: „Jesus selbst ist das Vorbild […] Von seinem Vorbild fasziniert, möchten wir uns vollständig in die Gesellschaft eingliedern, teilen wir das Leben mit allen, hören ihre Sorgen, arbeiten materiell und spirituell mit ihnen in ihren Bedürfnissen, freuen uns mit denen, die fröhlich sind, weinen mit denen, die weinen, und setzen uns Seite an Seite mit den anderen für den Aufbau einer neuen Welt ein. Aber wir tun dies nicht aus Pflicht, nicht wie eine Last, die uns aufreibt, sondern in einer persönlichen Entscheidung, die uns mit Freude erfüllt und eine Identität gibt.“
Und in Abschnitt 279 schreibt der Papst: „Manchmal kommt es uns vor, als habe unsere Arbeit kein Ergebnis gebracht, aber die Mission ist weder ein Geschäft noch ein unternehmerisches Projekt, sie ist keine humanitäre Organisation, keine Veranstaltung, um zu zählen, wie viele dank unserer Propaganda daran teilgenommen haben; es ist etwas viel Tieferes, das sich jeder Messung entzieht. Vielleicht verwendet der Herr unsere Hingabe, um Segen zu spenden an einem anderen Ort der Welt, wo wir niemals hinkommen werden. Der Heilige Geist handelt wie er will, wann er will und wo er will; wir aber setzen uns ohne den Anspruch ein, auffällige Ergebnisse zu sehen. Wir wissen nur, dass unsere Hingabe notwendig ist. Lernen wir, in den zärtlichen Armen des Vaters zu ruhen, inmitten unserer kreativen und großherzigen Hingabe. Machen wir weiter, geben wir ihm alles, aber lassen wir zu, dass er es ist, der unsere Mühen fruchtbar macht, wie es ihm gefällt.“
Liebe Schwestern und Brüder, machen wir weiter. Geben wir dem Herrn alles, aber lassen wir zu, dass er damit umgeht, wie es ihm gefällt. So lebt unser Papst Franziskus selbst, und das macht ihn so glaubwürdig. Er braucht allerdings enorm viel Kraft dafür, denn auch die Widerstände von verschiedenen Seiten, von innen und außen, werden nicht auf sich warten lassen. Deshalb braucht er unser Gebet, aber auch unseren Einsatz in seinem Sinn. Bei meiner ersten Begegnung mit ihm – es war bei unserer Niels-Stensen-Wallfahrt im Oktober – fasste er voller aufmerksamer Mitbrüderlichkeit meinen Arm – so tut er es auch bei anderen oft – und bat sehr eindringlich: „Beten Sie für mich!“ Ja, er hat unser Gebet und unsere Solidarität nötig. Nur so kann sich seine Vision von einer barmherzigen, dialogfähigen Kirche mit offenen, einladenden Türen erfüllen. Es ist die Vision eines 77-Jährigen, der aber durch seine reiche Erfahrung so jung geblieben ist, dass er uns eine neue Zukunft weisen kann.

Das Revolutionäre der Zärtlichkeit und der Liebe

Lassen Sie mich schließen, wie der Papst es in seinem Schreiben tut: mit dem Blick auf die Gottesmutter Maria, deren Hochfest wir heute feiern. Der Papst beschreibt uns Maria als Mutter und Stern der Evangelisierung: „Maria versteht es, mit ein paar ärmlichen Windeln und einer Fülle zärtlicher Liebe einen Tierstall in das Haus Jesu zu verwandeln. Sie ist die Magd des Vaters, die in Lobpreis ausbricht. Sie ist die Freundin, die stets aufmerksam ist, dass der Wein in unserem Leben nicht fehlt. Sie, deren Herz von einem Schwert durchdrungen wurde, versteht alle Nöte. Als Mutter von allen ist sie Zeichen der Hoffnung für die Völker, die Geburtswehen leiden, bis die Gerechtigkeit hervorbricht. Sie ist die Missionarin, die uns nahe kommt, um uns im Leben zu begleiten, und dabei in mütterlicher Liebe die Herzen dem Glauben öffnet. Als wahre Mutter geht sie mit uns, streitet für uns und verbreitet unermüdlich die Nähe der Liebe Gottes“ (EG 286).
Und wenige Zeilen weiter schreibt der Papst: „Jedes Mal, wenn wir auf Maria schauen, glauben wir wieder an das Revolutionäre der Zärtlichkeit und der Liebe“ (EG 288).
Liebe Schwestern und Brüder, lassen wir uns diesen Glauben an das Revolutionäre der Zärtlichkeit und der Liebe nicht entreißen! Ganz im Gegenteil: Lassen wir ihn in uns von Papst Franziskus neu wecken! Dazu segne uns alle und unser Neues Jahr der dreieinige Gott, der Vater und der Sohn und der Heilige Geist. Amen.